Aus dem Pfarrhaus
Neues Leben in alten Knochen
Pfarramt Ibach,
Im Februar fand im Kloster Einsiedeln eine Fortbildung mit dem Titel «Metanoia» statt, an der ich teilgenommen habe. Der griechische Begriff meint übersetzt so viel wie Wandlung, Erneuerung oder auch Veränderung. So war das Ziel der Tagung, kirchlichen Mitarbeitenden neue und zeitgemässe Möglichkeiten aufzuzeigen, wie Kirche heute gelebt werden kann. Besonders eindrücklich war das Referat von Prof. Luigino Bruni aus Rom. Anhand von zwei Texten aus dem Alten Testament – Ezechiel 37 und von Psalm 137 – deutete er die kirchliche Situation unserer Tage. Der Prophet Ezechiel beschreibt in seiner Vision eine Ebene, die voller getrockneter Gebeine und Knochen ist. Es ist ein Bild für den erschütterten Glauben des Volkes Israel, das von den Babyloniern ins Exil verschleppt worden war. Der Prophet beobachtet, wie die vertrockneten Knochen durch den Geist Gottes wieder zusammenfinden, mit Sehnen und Muskeln umgeben werden und zu neuem Leben erwachen. Psalm 137 stammt ebenfalls aus der Exilzeit. Er beschreibt, wie die Israeliten fern der Heimat an den Strömen von Babylon sitzen und weinend an ihre Heimat denken. Das nostalgische Zurückdenken lähmt sie und macht es ihnen unmöglich, in der Fremde Lieder für ihren Gott zu singen.
Anhand von sechs Punkten hat der Professor die aktuelle Kirchenlage mit den beiden Texten verglichen:
1. Die Kirche ist in einer Krise, die mit der des babylonischen Exils vergleichbar ist. Die Kirche
muss die Krise wahrnehmen, dass einige Bereiche tatsächlich wie tote Gebeine sind.
2. Eine Krise ist immer auch eine Chance. So war das Exil für die damalige Theologie eine sehr
fruchtbare Zeit, in der viele Texte des Alten Testaments entstanden. Auch die Kirche kann
gestärkt aus dieser Krise herausgehen, wenn sie lernt, bescheidener zu sein und Macht-
ansprüche aufzugeben.
3. Unsere heutige Zeit braucht Prophetinnen und Propheten, die die toten Knochen ins Leben
zurückrufen wie Ezechiel. Diese sind aber nur teilweise innerhalb der Kirche zu finden. Die
Kirche muss offen sein für Anregungen aus der Kultur, Literatur, Musik und Gesellschaft.
4. Nostalgie ist fehl am Platz. Wir müssen aufhören, am Flussufer zu sitzen und die alten Zeiten
zu beweinen. Die Kirche muss den Mut haben, Vergangenes zu begraben und loszulassen.
5. Die Kirche muss jetzt damit starten, neue Wege zu gehen und neue Lieder zu singen. Sie darf
nicht abwarten, bis das Exil vorbei ist, denn der Neubeginn ist der erste Schritt aus dem Exil
heraus.
6. Die Kirche darf auf den Geist unserer Zeit vertrauen. Gott liebt uns und seine Welt noch immer
und ist auch weiterhin in ihr präsent.
Um zu zeigen, wie gelingende Neuaufbrüche aussehen könnten, waren am Nachmittag verschiedene Referentinnen aus Schweizer Pfarreien anwesend. Sie stellten uns konkrete Projekte vor, die zu einem positiven Aufbruch in ihrer Pfarrei beigetragen haben. Es waren ermutigende Zeugnisse dafür, dass die «Glut unter der Asche» noch nicht erloschen ist, auch wenn viele unsere Pfarreien als «abgelöscht» erleben.
In Ibach haben wir das Glück, dass noch vieles lebendig ist. Doch auch wir müssen Sorge dazu tragen und Wege suchen, damit auch die kommenden Generationen bei uns eine Heimat finden. Arbeiten wir daran und brechen wir auf – gemeinsam.
Bild und Text: Ursula Ruhstaller